26.12. 2015
Ein sehr ausgefüllter Tag mit vielen Erlebnissen, insgesamt 10h waren
wir unterwegs. Noch auf der Fahrt nach Rajgir musste ein in Indien
manchmal auftretendes Mißverständnis beseitigt werden, "Hitler is a
great man" und Mein Kampf ein tolles Buch. Man trifft ab und an auf
diese Auffassung, zum einen gilt dieser Mann als Patriot und
Patriotismus ist in Indien sehr angesagt. Zum zweiten hat er die Inder
gegen die Briten unterstützt und zum dritten glauben manche Inder sie
seien Arya (Arier) wie die Deutschen und daher irgendwie mit im Boot
der angeblichen Herrenrasse. Als Prahalad mit diesem unsäglichen Mist
anfing mussten wir sofort Veto einlegen und keine 30 Sekunden später
war Hitler eben "a shame", man kann ja über alles reden.
Unsere Besichtigungstour begann dann mit einem Weg, den ein Mann,
genannt der Mountain Man, ab den 80er Jahren in 22 Jahren mühsamer
Handarbeit durch den Fels gemeißelt hat, da seine Frau in Ermangelung
einer Möglichkeit die Hügelkette zu überqueren zu spät ins Krankenhaus
kam und starb. Bereits hier wurde klar, durch Wochenende und Feiertag
herrschte reger Ausflugsverkehr, vor allem Einheimische und Inder aus
anderen Bundesstaaten, europäische Touristen sahen wir nicht. Auch
Prahalad und unser Fahrer Sunil fotografierten auf dem kleinen Pass und
es entstanden einige Gruppenbilder als Erinnerung.
Kurz vor Rajgir, Königssitz von Buddha-Freund Bimbisara, stoppte ein
Polizist den Vekehr. Es wurden Schießübungen abgehalten, die
schießenden Polizisten auf der einen Seite der Straße, die Zielscheiben
auf der anderen. Nachdem der (hoffentlich) letzte Schuss verhallt war
wurde die rote Fahne gesenkt und der Verkehr rollte weiter. Incredible
India.
Erster antiker Platz war eine Spur des Streitwagens von Krishna im
Mahabharata, tief in den Fels gefurcht. Wie man den Zusammenhang mit
einem indischen Mythos, der sich vor Tausenden von Jahren abgespielt
haben soll, herstellen kann, überlassen wir anderen. Nächster Halt war
an einer Höhle namens Son Bhandar, die eine angebliche Geheimtür
aufweist und sehr hübsch ist. Ein Passwort zum Öffnen der Geheimtür ist
eingraviert, irgendwie erinnerte mich das ganze an das Tor zu Moria.
Ihr merkt schon, ich konnte an dieser Stelle unserem Führer wieder
einmal nicht folgen um was es hier wirklich ging. Nächster Stopp war
ein Schlachtfeld aus dem Mahabharata, Bhima und Jarasandh habe dort 14
Tage gefochten, wie gesagt in einer Mythologie, die vor 2500 bis 1500
Jahren aufgeschrieben wurde und sich möglicherweise vor 5000 Jahren
ereignet hat - oder auch nie.
Wesentlich realer und absolut beeindruckend war dann die älteste
Universität der Welt - Nalanda. 10000 Studenten und 1500 Lehrer lebten
einst in diesem Hort des Wissens, einem der wichtigsten Zentren des
Buddhismus überhaupt, bis er im 12. Jahrhundert zerstört wurde. Vorher
hatten wir uns Ausgrabungsstücke im archäologischen Museum angesehen,
die freigelegten Tempel und Klöster erklärte uns dann ein fröhlich vor
sich hin rülpsender Freund von Prahalad.
Nach dem Mittagsessen hielten wir noch an den Ruinen des Gefängnisses
von Bimbisara, der aufgrund seiner Zuwendung zum Buddhismus von seinem
eigenen Sohn eingekerkert wurde. Die geplante Auffahrt mit der Seilbahn
zur Shanti Pagode musste dann wegen einer sehr langen Schlange an der
Bahn entfallen, das Warten hätte mehrere Stunden in Anspruch genommen.
Also fuhren wir zurück nach Gaya, wo wir uns mit einem Pandit
(Gelehrten) trafen, denn Ratri hatte bei Prahalad angefragt, ob es
möglich sei eine Pindu (Pind Daan) Zeremonie für verstorbene Verwandte
durchführen zu lassen, wie ihr in Kolkata von Tripti vorgeschlagen
wurde. Selbstverständlich war dies möglich und nachdem die Einzelheiten
geklärt waren fuhren wir zum Vishnupada Mandir Tempel. Die Bezahlung
ist bei solchen Dingen so eine Sache, ähnlich wie bei Trinkgeldern
erhält man bei Nachfragen meist nur ausweichende Antworten wie "Du
musst gar nichts geben, wenn es dir gefallen hat gib eben etwas, das
von Herzen kommt". Wenig hilfreich im Spagat zwischen Touristen-Gans,
die goldene Eier legt, und Affront. Wir hatten vorher einen Betrag
festgelegt, der in unserem Geldbeutel nicht auffällt, uns aber im
Anbetracht von 500INR staatlich gesichertem Tageseinkommen im armen
Bundesstaat Bihar als angemessen erschien. Am Tempel versaute ich dann
unseren Einlass, da ich nicht, wie vom Pandit verordnet, behauptete
Hindu zu sein. Ich hatte diese Aufforderung nicht auf mich bezogen und
es hätte meines Erachtens auch nichts genutzt, außerdem hatte ich nicht
damit gerechnet, dass der Vishnupada Tempel so heilig ist, dass
nicht-Hindus ihn nicht betreten dürfen. Also gingen wir um den Tempel
zur Terrasse am ausgetrockneten Fluss Falgu und ein Priester führte mit
Ratri das "Pind Daan" durch, und zwar in der Kurzform für Leute mit
wenig Zeit, genannt "Ekodristi Gaya Shradh".
Für mich war die etwa 30min dauernde Szene berührend und grotesk
gleichermaßen und zeigte mir wieder einmal, wie lebensnah und
pragmatisch der Hinduismus agiert, keine abgeschotteten, scheinheiligen
Parallelwelten sondern einfach "mitten im Leben". Der Priester saß mit
Ratri auf dem Boden und sagte Mantren auf, wir saßen direkt daneben,
Prahalad redete ständig auf mich ein ich solle mehr Fotos machen, der
Pandit telefonierte lautstark oder spielte mit seinem Smartphone. Auf
dem trockenen Flussbett hinter uns brannten Feuer zur Kremation und
einige Meter weiter spielten drei Jugendliche, wenn sie nicht von
umherstreifenden, heiligen Kühen unterbrochen wurden, Cricket.
Um 18Uhr waren wir wieder im Hotel, sortierten den Tag, recherchierten,
was genau wir gesehen und erlebt hatten, und freuen uns nun auf unser
Abendessen. Morgen holt uns Prahalad nochmals um 8Uhr zu einem kurzen,
außerplanmäßigen Sightseeing ab, dann fahren wir mit Sunil nach
Varanasi.