Von Vodoo bis Hemingway (Martin im März 2003)


Im Herbst 2000 ging für uns ein kleiner und ein großer Traum in Erfüllung: Der Kleine war Amerika, der Große der erste gemeinsame Urlaub!

Am 31.10. starteten wir in Frankfurt um uns am selben Abend etwas übermüdet im chaotischen New Orleans in Halloween-Stimmung wieder zu finden. Nach einer etwas abenteuerlichen aber sehr günstigen Fahrt in die Stadt mit dem öffentlichen Bus (das macht man als weißer Tourist eigentlich nicht!) bezogen wir unser Hotel mitten im French Quarter, wo das Herz New Orleans schlägt. Uns schlug zunächst nur die Preiskeule, ungünstiger Wechselkurs + USA-Preisniveau + New Orleans Sonderaufschlag = fatal für die Urlaubskasse. Da bleibt einem das kleine Dosenbier für DM 7 im Halse stecken und die rostige Gartenliege im angeblichen Dreibettzimmer läßt den Verdacht aufkommen, dass fast DM 400 pro Nacht für dieses Zimmer etwas viel sein könnten.

Ratri war zunächst beruflich im Einsatz und mit etlichen KollegInnen auf dem Neuroscience Meeting beschäftigt, ich streifte als Tourist durch die Stadt und kannte mich nach über einer Woche in New Orleans schon ganz gut aus. Kein Museum war mir mehr unbekannt, weder das Vodoo-, noch das Louisiana State- und schon gar nicht das Mardi Gras Museum. Den Zoo besuchte ich gleich zwei Male, einmal ohne und dann noch einmal mit Ratri. Neben schönen Tieren aus aller Welt sind vor allem die Bereiche über die heimische Fauna sehenswert, zumal neben jedem Aquarium oder Gehege gleich das passende Rezept für den Insassen hängt. Ein weit größerer Höhepunkt als der Zoo ist aber das Aquarium of the Americas, das die Weltmeere und deren Bewohner erläutert. Zwar kennen wir die Aquarien von Genua und Lissabon nicht aber viel größer können die auch nicht mehr sein.

Am 7. November gaben die Amerikaner dann ihre Stimme für einen der beiden Kandidaten für das Amt des Präsidenten ab. Ich sah mir die Auszählung im Fernsehen auf dem Hotelzimmer an, ein Staat nach dem anderen berichtete die Ergebnisse, alles wartete auf Florida. Aber Florida meldete nichts. Gegen Mitternacht gab ich frustriert auf und schlief. Am nächsten Morgen wollte ich als erstes wissen, noch bevor ich meinen Muffin auf dem Balkon im French Quarter essen wollte, wer nun amerikanischer Präsident war. Und siehe da, Florida schwieg immer noch.

Das Flair von New Orleans ist unbeschreiblich bunt, ein Schmelztiegel der Kulturen und Völker. Der Einfluss von europäischem und karibischem wird ebenso spürbar wie der afrikanische. Nur die Dinge, die man in Deutschland für "typisch USA" hält, wird man vermissen. Über allem hängt der Geruch von Räucherstäbchen und Gewürzen aus dem French Market, ein Hauch von Vodoo und Julie Smith, etwas Easy Rider und natürlich Yazz. Dabei ist die berühmte Burbon Street, ob nun mit oder ohne Mond darüber, eher eine Enttäuschung, da ist die Fahrt zur Reeperbahn günstiger und auch weniger zeitaufwendig. Aber alles drumherum, das lohnt sich! Auch die Restaurants sind, wie die Stadt, einmalig, hier französich raffiniert, da viel Cajun aus der Karibik, dann wieder handfeste Sumpf-Kost der wenig verwöhnten Südstaatler. Nicht verpassen sollte man Muffulettas, Gumbo, Jambolya und Po'boys.

Nach 10 Tagen setzen wir uns in Bewegung, nun ausgerüstet mit einem echten Chevy. Allerdings ist nicht jeder Chevy mintgrün, 8m lang, verfügt über Plüschwürfel am Innenspiegel und aus dem Radio plärrt der Big Bopper. Nein, Chevy baut auch ganz normale Kleinwagen und Stadtflitzer wie den Metro, in dem wir unterwegs waren. Unser erstes Ziel waren die Bayous südwestlich von New Orleans und die Plantagen darin. Einiges Historisches, wenn auch wenig Ruhmreiches, gibt es dort zu sehen, und wer mag, kann auch in einer ehemaligen Sklavenunterkunft übernachten. Wir verließen die Bayous wieder Richtung New Orleans, warfen einen letzten Blick auf die Skyline am Mississippi und überquerten auf einer endlos langen Brücke den Lake Pontchartrain. Untypisch amerikansich ging es nun immer weiter nach Osten, den ganzen  Golf von Mexiko entlang über Pensacola, wo wir einen wunderbaren Strandspaziergang genossen und dabei Rochen beobachten konnten, die sich auf ca. 2m der Küstenlinie genähert hatten.

Am nächsten Tag fuhren wir an Tallahassee vorbei, was uns eigentlich nicht interessierte, nur waren wir zwischenzeitlich zu Experten im Auszählen von Wahlergebnissen geworden und die Nachzählung fand in der Hauptstadt Floridas statt, und das ist eben Tallahassee. Da das nach wie vor Schlagzeile Nummer eins war, war natürlich auch immer noch nicht entschieden, wer nun diese Nation lenken sollte.

Mitlerweilen waren wir auch bestens ausgestattet, was unser leibliches Wohl anging. Zu unserem Propan-Kocher hatten wir nun auch eine schwere, gusseiserne Pfanne in extra heavy duty Ausstattung angeschafft und darin brutzelten wir unsere Steaks, Shrimps und sonstigen Leckereien für den Rest des vierwöchigen Urlaubs.

Unser nächstes Ziel lag nahe, Orlando mit seinen unzähligen Möglichkeiten, viel Adrenalin, Staunen, Zeit und Geld los zuwerden. Aus der Vielfalt der Möglichkeiten suchten wir uns die Universal Studios und die Islands of Adventure heraus, beides sogenannte Tagesattraktionen. Für den Abreisetag stand noch eine "half day attraction" auf dem Programm, das Gatorland, eine Aligatorenfarm mit einigen Vorführungen rund um die Panzerechsen. Auf alles andere, Disney, Epcot, Sea World, Wet'n'Wild und wie sie alle heißen verzichteten wir, zu wenig Zeit, zu viel auf einmal, zu teuer und schließlich lockten noch die Everglades, also richtige, natürliche Landschaft mit echten Tiere drin. Die Studios waren für uns Filmfans genau das Richtige, vor allem, weil neben Hightech-Attraktionen wie dem Terminator2-3D, der einem wirklich den Atem stocken liess, auch der Charme der guten alten Zeit nicht zu kurz kam, als eine fellige Pranke eines Riesenaffen knarrend und unter plärrendem Gebrüll nach der Stadtbahn griff, in der der Tourist sass. So war der Tag auch ruckzuck vorbei und am nächsten warteten die Islands auf uns, ein spektakulärer Vergnügungspark mit allem, was man sich vorstellen kann oder auch nicht. Für Ratri war das ständige rauf und runter etwas zu viel, vor allem, als ich sie in Dr. Doom's Fearfall mitschleifte, eine Abschussmaschine, die den geneigten Besucher 61m in die Höhe katapultiert und ihn dann in den zweifelhaften Genuss von einer Sekunde Freifall versetzt. Mich haben vor allem die anderen Achterbahnen Incredible Hulk und Duelling Dragons beeindruckt, aber auch virtuelle Fantasywelten wie das Reich des Zeus. Auf jeden Fall waren wir beide abends ganz schön fertig und hatten auch genug von Tricks und Täuschung.

Nach dem Gatorland ging es am Folgetag weiter nach Merritt Island zum Kennedy Space Center, dem wir einen Besuch abstatteten. Da uns viele gefragt haben wie es war und ob es sich gelohnt hat hier die ganz klare Antwort: Ist was für Fans und die NASA steckt offensichtlich in einer finanziellen Krise, sonst wären die Aufmachung nicht so hausbacken und die Filme so steinalt. Visionen vermögen die Damen und Herren auf jeden Fall nicht zu vermitteln.

Von nun an folgten wir dem Highway No. 1 nach Süden, vorbei an Städten mit so klangvollem Namen wie West Palm Beach oder Boca Raton, Fort Lauderdale und natürlich Miami mit dem weltberühmten Miami Beach. Unser Quartier für eine Woche bezogen wir in Florida City unweit dem Eingang in den Nationalpark Everglades und von dort aus erkundeten wir die Umgebung.

Die Everglades haben uns sehr gut gefallen, vor allem, weil wir im Winter (November) da waren. Das bringt drei unglaubliche Vorteile mit sich. Erstens keine Touristen, zweitens keine Moskitos und drittens eine hohe Konzentration von Tieren aller Art in den verbleibenden Wasserlöchern. So sahen wir Krokodile, Aligatoren, zahlreiche Wasservögel, Schildkröten und bei einer Bootsfahrt mit den Rangern (kein Propellerboot, die gibt es im Nationalpark nicht) sogar eine Seekuh. Das "Meer aus Gras", wie es die Seminolen nannten, das "pay-hay-okee", war vom Standpunkt der Naturliebhaber sicherlich der Höhepunkt der Reise.

Einen Tag haben wir vor Key Largo zugebracht, und zwar auf einem kleinen Boot, das wie eine Nussschale auf den Wellen tanzte. Darin eine kleine Gruppe wagemutiger Taucher, die dem John Pennekamp Coral Reef State Park einen Besuch abstatten wollten. Ratri war länger nicht mehr getaucht und gab sich in die Hände eines vertrauenswürdigen Tauchlehrers, ich schnorchelte in Ermangelung einer Tauchlizenz auf den Wellen oder dazwischen, immer versuchend den Quallen auszuweichen, die da ab und zu vorbei trieben. Die Unterwasserwelt war aber auch schon "von oben" beeindruckend und die beiden Tauch- bzw. Schnorchelgänge blieben uns noch lange in Erinnerung.

Weniger lohnend war der Besuch Miamis, eine Innenstadt, die eben typisch amerikanisch keine ist, ein winterbedingt verwaister Strand ohne Schönheiten und Miami Vice Helden, keine cruisenden Cabrios - nichts. Gut gefallen hat uns dagegen der Zoo mit seinen riesigen Gehegen und das Planetarium, wären da nicht die furchtbaren Besucher gewesen, die während der Vorführung kiloweise Kartoffelchips in sich hineinstopften und die Horden von lärmenden, völlig verzogenen Kindern.

Nach ausgiebigem Genuss von Everglades und Key Largo folgte die letzte Etappe, der Overseas Highway nach Key West. Hier quartierten wir uns im Red Rooster Inn ein, einer feudalen Herberge mit viel Charme und sehr lockeren Betreibern. Von Key West selbst haben wir nicht viel gesehen, am ersten Abend reichte der Elan bis zur Sunset Celebration und in den kubanischen Club, am zweiten noch bis zur nächsten Caipirinha-Kneipe und an den folgenden nur noch bis zum Pool des Red Rooster's, an dem wir wie immer unser Mahl zubereiteten. Die vier Wochen Entdeckungsreise durch Amerika steckten uns in den Knochen und nun war Erholung angesagt. Nach der Rückfahrt nach Miami suchten wir uns ein Motel auf der Calle Ocho, der 8. Straße in Miami, dem Kubaner- und Latino-Viertel. Nach einem tollen Abend in einem domenikanischen Restaurant stand die Rückreise an, zunächst den Metro abgeben und dann die ewig lange Flugstrecke nach Hause. In Frankfurt angekommen waren wir müde - aber begeistert von allem, was wir erlebt hatten!

Ach ja, trotz intensiver Auseinandersetzung mit ungültigen, etwas ungültigen, möglicherweise ungültigen, wahrscheinlich ungültigen und überweigend ungültigen Wahlzetteln, trotz profunder Kenntnis von halbdurchstoßenen "halfpunched" Wahlzetteln und Auszählverfahren - wer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden würde, das wussten auch wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.


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