Kolkata & Taiwan 2023 blog
15. November - Tradition bei den Sedqi und Moderne am Sonne-Mond-See
Tradition und Moderne, welch abgedroschene Phrase. Aber heute war es wieder soweit.
Zunächst
aber ein schönes Frühstück im 7. oder eben 5. Stock des Hotels, mit
prächtigem Blick auf und über den See, der, aus der Vogelperspektive,
angeblich aussieht wie eine Sonne und ein Mond. Wir meinen nach einem
Blick auf die Landkarte er ähnelt eher einem Ottifanten mit
dickem Rüssel, aber das mag an der kulturellen Prägung liegen.

Oder
daran, dass nach der Festlegung des Namens die Japaner einen Staudamm
gebaut haben, der die Oberfläche des nun zum Stausee gewordenen Sees
verdoppelt hat. Und diese Verdopplung muss ja nicht unbedingt
proportional abgelaufen sein, so dass Sonne und Mond abgesoffen und zum
Ottifanten geworden sind.
Nach
dem Frühstück verließen wir die
Moderne, den Sonne-Mond-See kann man sich in etwas so vorstellen wie
den Gardasee, nur nicht so durchgängig bebaut, und fuhren in die Berge
nach Meixi zu den Sedqi, dem hier lebenden Aboriginal-Stamm, nur noch
wenige Hundert Menschen stark. Unterwegs sahen wir viel Gemüseanbau,
zum Teil "bio", und ein Restaurant mit dem schönen Namen "pretty wife
eat cheese", gemeint ist vermutlich kein Käse sondern Käsekuchen. Am
Ziel angekommen sagten uns
unsere Gastgeber Hakki und Sapu Niu "malussu" (guten Tag), und wir
starteten unseren halben Tag in der Tradition des hiesigen Stammes,
wobei Hakki eingeheiratete Atayal ist, also eine "neig'schmeckte" aus
der Lishan Gegend. Erster Programmpunkt war die Zubereitung der
Nachspeise für das Mittagessen, in ihrer Kochschule durften wir,
nachdem wir singend und tanzend Einzug gehalten hatten, denn nur gut
gelaunt können frau und man gutes Essen bereiten, Hirse zerstampfen,
mit Bananenstücken mischen und in Bananenblätter wickeln, die so
entstandenen Päckchen wurden dann gedämpft und uns später serviert.

Anschließend
besichtigten wir ein traditionelles Lager- sowie Wohnhaus, wie gesagt,
es handelt sich um Zeugnisse beziehungsweise Nachbildungen einer
vergangenen Zeit, dann zeigte uns Sapu die Tierfallen seiner Vorfahren
und wir durften unser Können im Bogenschießen unter Beweis stellen. Nun
sind wir zwar leider nicht mehr besonders gut in Übung aber das Jahr
intensiverer Beschäftigung mit dem Bogensport mit Betti und Klaus ist
nicht spurlos an uns vorbei gegangen, bereits der vierte Schuss
sicherte mir unser Mittagessen, ich traf die Wildschwein-Zielscheibe
ins "Gold", genauer mitten in die Null der 20 Punkte Aufschrift. Auch
Ratri setze der Zielscheibe ordentlich zu, unsere Mitjägerinnen und
Mitjäger dagegen verhielten sich eher vegetarisch oder verweigerten
gänzlich den Dienst an der Waffe.

Abschluss
des Besuches war dann der Genuss unseres virtuell erlegten
und real zubereiteten Mittagessens, das sich allerdings auf
magische Art und Weise weit über das virtuelle Wildschein und die die
reale Hirse-Bananen-Nachspeise hinaus entwickelt hatte. Zusätzlich
wurde ein Fisch serviert, nicht der bei Chiang Kai-shek beliebte
und daher umbenannte "Präsidenten-Fisch", sondern eine Makrele,
außerdem Shrimps, Bambus, Süßkartoffeln, Salat mit Tomaten, Kohl und
Hühnersuppe. Dazu beschallte uns eine "Love Soft Rock CD" mit
unsäglichen Coverversionen bekannter Schmalz- und Schmelz-Songs, die
den kulinarischen Genuss aber nicht trüben, allenfalls in ein schräges
Licht setzen konnte.
Nach dem Abschied von Hakki und Sapu traten
wir die Rückreise aus der Tradition an und hielten unterwegs bei einem
Stand, an dem wir wieder schönes Obst und andere Erzeugnisse der Region
einkaufen konnten, dann besuchten wir den WenWu Tempel an der unserem
Hotel gegenüber liegenden Seite des Ottifanten-Sees. Die Anlage ist
wunderschön und friedlich, wurde nach dem schweren Beben von 1999 neu
aufgebaut und liegt daher auf etwa halbem Weg von Tradition zu Moderne.
An den modernen "Glückskeks-Automaten" kann man sich für 10 TW$ einen
Weissagungs-Spruch ausgeben lassen und ich erfuhr in den englischen
Zeilen, dass für mich bei einer Schwangerschaft keine Gefahr besteht.
Vincents Deutung der chinesischen Zeilen lautete aber eher, dass ich
zwar etwas Geduld aufbringen müsse, dann aber alles gut wird. Klingt
doch nicht schlecht!
Wieder zurück in der Moderne, im
Feriendorf, brachen wir zu einem Bummel durch die Geschäfte auf,
kauften dies und das, unter anderem ein wirklich schönes Reise-Tee-Set
sowie einen kleinen Stoff-Drachen, den wir nicht Ottifant sondern
Sun-Moon tauften, und dann war es auch schon wieder Zeit für das
Abendessen. Gegessen wird in Taiwan, zumindest außerhalb Taipehs, aber
früh, meist schon ab 17:30Uhr. Wir starteten um 18Uhr und die
Street-Food-Stände schlossen vor unseren Nasen, wir ergatterten noch
Huhn mit Reisfüllung, Pfannkuchen mit Wildschwein sowie vegetarisch mit
Frühlingszwiebeln und schließlich eine Wildschwein-Wurst mit Pfeffer,
dann war es 19Uhr und das öffentliche Leben fand ein abrupte Ende. Bis
auf den 7-eleven, der zuverlässig Getränke und Snacks verkauft, mit
denen man einen schönen Abend mit guten Freunden in einem geräumigen
Zimmer mit Blick auf einen See verbringen kann - in der Moderne oder
besser gesagt im vielzitierten Hier und Jetzt, am 15. November am
Sonne-Mond-See in Taiwan.