Nepal & Kolkata 2019 blog

23. Oktober

I'm shopping in the rain, und der Himmel weint über dem Ort des Wissens

Wir haben in Zimmer 6 wunderbar geschlafen, es liegt nicht "nach hinten" zur geschäftigen Gasse sondern zum Innenhof, außerdem wird es an der anderen Fassade von einem Balkon mit Brüstung geschützt und ist wirklich herrlich ruhig. Heute morgen wurde uns gesagt dieses Zimmer habe Jennifer, Violets Tochter, bezogen, wenn sie in Kolkata war. Damit nicht genug der Ehre, beim Frühstück wurde uns der Tisch zugewiesen, an dem Violet immer gesessen hat und der auch nach ihrem Tod stets mit einem Messingschild reserviert und für Gäste nicht zugänglich war, übrigens der einzige runde Tisch im Speisesaal. Ich habe fast das Gefühl die "alten Nasen" senden kleine Zeichen aus der Vergangenheit an "alte Gäste".

Damit man sich von der Behutsamkeit der Renovierung ein Bild machen kann hier unser Zimmer 6 wie es nun mal aussieht und aussehen muss.

Fairlawn Zimmer 6

Fairlawn Zimmer 6 Bad

Auch Fluchtgruppe 1 hat in New Delhi bestens geschlafen, bekam zwar ihre Koffer nicht aber dafür eine Zahnbürste und ein Bett, nun freuen sich alle auf dem Heimflug am Mittag.

Anschließend brachen wir zum Einkaufsbummel auf, zu dieser Jahreszeit laufen Aktivitäten gleich welcher Art in Kolkata immer in etwa wie folgt an:

0m (Fairlawn Ausgang): "Geht eigentlich, ist ganz angenehm."

20m (Fairlawn Tor zur Sudder Street): "Ich hätte es mir wirklich schlimmer vorgestellt."

100m (Einkaufsstraße rechts um die Ecke): "Puh, doch ganz schön warm."

200m (Ende Einkaufsstraße rechts um die Ecke): "Verdammte Sch#### ist das schwül."

250m (New Market): "Das gibt's doch gar nicht, ich geh ein!"

Unser Shopping war dann recht erfolgreich und wurde um die fast unglaubwürdige Dimension erweitert, dass wir auch für mich Bekleidung gekauft haben. Weniger erfolgreich war der Versuch Bargeld zu beschaffen, der einzig wahre HSBC Bankomat ist weg und alle anderen brachen entweder unter der Last der Anfragen zusammen oder meldeten "invalid card", egal welches Stück Plastik wir versuchten, diesbezüglich ist Reisen leider wieder ziemlich nervtötend geworden. Dafür kann man eigentlich überall mit der Kreditkarte bezahlen und auch alle Straßenhändler, egal ob sie nun T-Shirts, Wasserflaschen oder Spalten von Kokosnüssen verkaufen, akzeptieren mindestens ein Bezahlsystem per Smartphone, das wir eben nur nicht haben.

Am Nachmittag begann es dann zu regnen und wir kamen pitschnass im Fairlawn an, so wie die Vorhersage meldet wird es auch bis zu unserer Abreise regnen, die dieses Mal sehr frühe Reisezeit scheint sich etwas zu rächen.

Sobald der Regen nachließ gingen wir zur Park Street und endlich fanden wir einen Bankomaten, der uns, sogar mir, erstmalig auf dieser Reise, Geld spendete. Finanziell gestärkt setzten wir unsere Einkaufsaktivitäten fort und betraten den Oxford Bookstore, für uns eine Legende, Ausdruck der literaturverliebten Bengalen, Kinder von Tagore.

Circa zwei Minuten nach Betreten, wir sahen uns gerade die Bildbände an, sprach uns ein zunächst nett wirkender Herr an und empfahl uns ein Buch über die Geschichte Kolkatas. Weitere fünf Minuten später war alles gesagt, er ist Banker, interessiert sich für die deutsche Geschichte von 1922 bis 1945, findet toll, was Hitler gemacht hat, meint, dass Modi das nun genau so macht, was er auch toll findet, und dass nun, nachdem die Christen und Moslems 1000 Jahre auf den Hindus herumgetrampelt haben, es Zeit sei den Spieß umzudrehen und 1000 Jahre auf den anderen herumzutrampeln. Da mir in solchen Situationen meist nicht viel einfällt, schon auf Deutsch nicht, sagten wir ihm immerhin, dass uns diese Vorstellung Angst macht, und er beendet das Gespräch, das keines war.

Und wieder stelle ich mir vor ich muss diese Situation den "Mädels" aus Wolfgangs Yoga-Kurs erklären, ihr Weltbild zerstören und ihnen sagen, dass manche oder sogar einige ihrer friedensverliebten, meditierenden, Yogi-Tee schlürfenden heiligen Inder einfach ekelerregende Chauvinisten, Faschisten und Nazis sind und dass sie sich ihr nächstes Aschram auch gleich in Halle suchen können. Ich kann und will um diese Häufung von Meinungsäußerungen auch nicht herumreden und ich kann diese menschenverachtenden, inhumanen Positionen auch nicht mehr mit Unwissen, einem falschen Geschichtsverständnis oder der Unterstützung des sogenannten Dritten Reichs für die Aufständischen gegen die britischen Kolonialherren erklären, wer im Jahr 2019 lesen und schreiben kann, Internetzugang hat und im Oxford Bookstore steht ist sehr wohl informiert. Ich habe schon vor vielen Jahren ein Buch gelesen, das vor der drohende gesellschaftliche Verrohung und den faschistischen Strukturen durch das Modi-Gedankengut gewarnt hat und habe diese eine Quelle als Singularität abgetan. Wenn man aber die Entwicklung in der größten Demokratie der Welt im Jahresturnus miterlebt wird einem Angst und Bange.

Der Buchladen kann allerdings nichts für seine Kunden und wir genossen unseren Besuch trotzdem, ebenso das anschließende Abendessen im Tung Fong.

Da es im Fairlawn keinen Alkohol mehr gibt haben wir uns unser Feierabendbier schließlich im Sprithandel nebenan gekauft, sitzen nun mit Erlaubnis des Personals auf dem Balkon, der einst Violet gehörte, als unterhalb noch die Getränke in Strömen flossen, und schütten verstohlen ein schäumendes Getränk aus einer in Zeitungspapier eingewickelten Flasche in unsere Gläser.

Eben haben wir ein "selfie" gemacht um diesen schönen Augenblick festzuhalten, dazu haben wir die Kamera auf einem Stapel Bücher platziert, der hier für die Gäste liegt. Das oberste Buch trägt den Titel, und das ist kein Witz sondern die ganze Wahrheit, trägt den Titel "Mein Kampf".



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